Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch über den Genderstern «Den Menschen ist bewusst: Mit dieser sprachlichen Änderung müssen sie auch ihr Weltbild ändern»
Ich hab per se nichts gegen Gendern, das ist jedem und jeder selbst überlassen. Aber ich habe das Gefühl, dass gerade das Gendern in der Sprache das Geschlechtliche ständig hervorhebt und betont. Ist das das Ziel? Z.B. bei „Ärzt*innen“ ist das *innen länger als der Wortstamm. Bei „Ärzten“ denke ich praktisch ausschließlich an die Gruppe der Menschen, die den Beruf Arzt erlernt hat. Wenn ich Ärzt *innen lese, tritt die eigentliche Wortbedeutung fast schon in den Hintergrund und ich komme nicht umhin, explizit an die Geschlechtlichkeit von Ärztinnen und Ärzten zu denken. Ist das nicht das Gegenteil von dem was erreicht werden soll? Sollte es nicht egal sein, welches Geschlecht andere Menschen haben?
Teilweise, ja. Studien zeigen ja auch, dass das generische generische Maskulinum zu sexistischer Voreingenommenheit führt. Das Gendern soll daher die Vielfältigkeit der Menschen hervorheben und normalisieren, da Sprache ein essentieller Teil der Kultur ist.
In vielen Fällen sollst und kannst du sowieso nach geschlechtsneutralen Ausdrücken greifen.
Nein, tun sie nicht. Um eine adequate Studie zu dem Thema zu verfassen, bräuchtest du erstmal eine in keinster Weise voreingenommene Ausgangsgruppe. Also gibt es de facto keine seriösen Studien zu dem Thema.
Aber um es dir einfacher zu machen... denkst bei der Erwähnung einer Koryphäe oder Person voreingenommen an Frauen? Sollte man doch meinen bei Verwendung der generischen Femininums...
Ich fürchte, die Leute haben in erster Linie ein Problem mit Gendersternchen, weil es sich dabei primär um einen Diskurs unter einem Teil von Akademikern handelt. Es geht dabei nicht um Inhalt, sondern darum, dass man sich in seiner Lebensrealität missverstanden und durch eine Bevölkerungsgruppe gegängelt fühlt, die qua Auftreten in den letzten Jahrzehnten vermittelt hat, einen alleinigen Anspruch auf den Diskurs und die Art, wie er geführt wird, erheben zu können.
D.h. der gesamte Diskurs um inklusive Sprache, der eigentlich wichtig wäre, scheitert daran dass er eben einen großen Teil derer, die daran beteiligt sein sollen, ausschließt.
Wenn mir der Hausmeister sagt, dass es ihm scheissegal ist, welche sexuelle Orientierung jemand hat oder Ls welches Geschlecht er sich identifiziert, sollte ich ihm das erstmal so glauben und dann überlegen, wie ich diesen Mensch dazu bekomme seine prinzipielle Bereitschaft - seine tolerante Grundhaltung - sukzessive davon überzeugen kann, das auch sprachlich zu äußern.
Apropos Akademiker Linguisten sind idR von dem Ding nicht sonderlich begeistert weil sie wissen wie Sprache und Sprachentwicklung funktioniert.
Früher als eher nur Männer gearbeitet haben hieß die Frau des Bäckers Bäckerin, im Westen hat sich das dann für weibliche Bäcker eingebürgert, im Osten blieb's beim Bäcker, man kann am Ende durchaus das Argument vertreten dass die Verwendung des "-in" eine Herabwürdigung ist. Im Englischen lief das auch so: Theresa May war prime minister, nicht prime ministress und die Anglos würden dir einen hupen wenn du damit anfängst.
Ich finde die politische Energie könnte man viel besser darauf verwenden männliche Versionen von weiblichen Bezeichnungen abzuschaffen, z.B. Bräutigam zu Braut zu machen. Der Mann ist ja schließlich eine Person dann kann er auch eine Braut sein, Genus und Sexus sind dann halt doch verschiedene Dinge und nur durch dieses krampfhafte benutzen von abgeleiteten Formen werden die Generika überhaupt geschlechtsspezifisch.
Was bleibt ist das rein binäre Genussystem, gerade bei Pronomen problematisch denn da gibt's nichts generisches. Im Prinzip ist das Inklusivium kein schlechter Ansatz, da hätten wir dann am Ende die Braut, der Braut, und de Braut. Das Braut gibt's nicht es sei denn Roboter wollen "es" genannt werden. Klar einen neuen Genus einzuführen ist jetzt keine kleine Änderung aber auf der anderen Seite isses sauber und die Menschen haben schon die richtigen Gehirnwindungen dafür, und wo das System präskriptiv nicht passt kann es sich leicht selbst einschleifen.
Auf der anderen Seite wäre es aber auch hoch überraschend wenn den Feminismus plötzlich anfängt sich einen Scheißdreck für queere Perspektiven zu interessieren. Oder für die von Menschen mit (aus welchem Grund auch immer) niedrigem Sprachverständnis; versuch mal in leichter Sprache zu gendern... das geht vielleicht noch mit viel biegen und brechen, aber dann versuch mal jemandem mit Down-Syndrom den Text lesen zu lassen.
Und genau da liegt mMn das Problem: Wer bist, dass du einem anderen Menschen diktieren willst, wie er zu sprechen hat? Stehst du auch beim Bäcker und korrigierst die, die zur Semmel Schrippe sagen?
Vielleicht will der Hausmeister aus deinem Beispiel halt einfach reden wie er will. Und dann? Ist er dann er schlechterer Mensch? Die Mehrheit handelt halt nicht so wie es eine Minderheit gerne hätte. So ist das Leben.
Der moralisch-schulmeisternde Anspruch der Verfechter des Genderns ist einer der Gründe, warum ich das lasse.
Das liest sich für mich wie ad hominem. Er darf ganz unabhängig davon wo er herkommt und was sein Hintergrund ist an einer solchen Diskussion teilnehmen. Er diktiert nichts, sondern versucht darüber aufzuklären, dass man nicht nur mit Taten sondern auch mit Worten Toleranz zeigen kann.
Semmel und Schrippe sind da ein absolut hinkender Vergleich. Mit beiden Begriffen machst du nichts falsch, dich guckt nur jemand komisch an wenn du es an einem Ort sagst, wo es eher ungewöhnlich ist. Beim Gendern geht wohl um etwas Anderes
Ich sehe das tatsächlich nicht so verkrampft wie du .. Ich muss mich nicht darüber aufregen. Ich probiere es gerne aus, weil ich denke, dass man auch sprachlich was ändern darf, solange es einer Verbesserung gilt und damit z.B. mehr Toleranz entsteht. Einen Zwang gibt es nicht.
Gendern ist für mich ein GenX Problem. Ich bin Mitte zwanzig und in meinem studentischen Umfeld gendert niemand. Ich denke beim Wort Ärzte nie nur an männliche Ärzte. Ich glaube meine Generation und nachfolgende Generationen haben den Sexismus (weitestgehend) vollständig hinter sich gelassen, bzw. sind gar nicht erst damit aufgewachsen.
Als spät 20-jähriger kann ich über diese Echokammer Naivität nur traurig lachen.. als ob man Sexismus mit einem magischen Generationenwechsel unterbinden kann. Ich mein es wäre schön wenn es so wäre, aber es ist schlicht falsch. Man erkennt an deinem Text halt auch, dass du ein hetero Mann bist, der entsprechende Erfahrungen selbst nicht machen musste.
Und bestimmt ist es besser geworden, aber was mir meine Freundinnen erzählen bzw was ich indirekt mitbekomme zeigt mir halt, dass wir erst Leuten zuhören müssen, die direkt davon betroffen sind, bevor wir als Privilegierte das einfach wegnegieren.
Das hängt sehr von deiner Bubble ab. In meinem studentischen Umfeld wird sogar in der Umgangssprache mündlich gegendert. Ist da halt auch absolut kein Thema, weil es als normal und selbstverständlich angesehen wird.
Sexismus hinter uns gelassen? Noch sehr lang nicht. Ja, die Sprache ist da wohl das kleinere Problem, aber sivh selbst reproduzierenden Stereotypen gibt es auch in den jungen Generationen noch en Masse. Vor allem, wenn nicht darüber aufmerksam gemacht wird und Menschen sich dem bewusst werden.
Ist 'ne schöne Theorie und wahrscheinlich auch wahr.
Hilft nur nicht, wenn bei der Idee direkt die militanten Feministinnen angerannt kommen (also die Pseudo-Feministinnen, die eigentlich nichts mit Feminismus am Hut haben aber trotz Minderheit die lauteste und auffälligste Fraktion sind), um dir zu erzählen, dass du in Wirklcihkeit nur Frauen hasst und deshalb nur so tust als wärst du kein zurückgebliebener Höhlenmensch...
Also nein. Das "Gendern" selber ist nciht das GenX Problem...
Gerade der Genderstern (und andere Formen wie Gender-Doppelpunkt etc.) als Versuch diejenigen zu repräsentieren, die sich weder von der männlichen noch der weiblichen Form angesprochen werden, kommt mir vor wie eine Lösung auf der Suche nach einem Problem.
Wenn die Forschung sagt, dass ein Teil der Bevölkerung beim Wort "Ärtze" nur Männer vor Augen hat, dann glaube ich das erstmal. Ich verbinde Berufsbezeichnungen eher mit der Tätigkeit als mit der ausübenden Person, aber Gehirne funktionieren eben alle ein bisschen anders.
Die deutsche Sprache hatte je bereits eine Lösung für dieses Problem: Will man die Heterogenität der Geschlechter in einer Gruppe hervorheben, dann schreibt oder sagt man eben "Ärztinnen und Ärzte". Oder wenn man es ganz eilig hat, dann nutzt man das Binnen-I (wobei das auch einige Probleme mit sich bringt).
Bei allem Verständnis für die Probleme all derjenigen, die sich im binären Geschlechtssystem nicht wiederfinden: Ist es wirklich verhältnismäßig für diese winzige Minderheit zu versuchen die Sprache anzupassen? Es ist ja bekannt, dass Sprache für viele Menschen identitätsstiftend ist und wie sehr sie sich gegen den (vermeintlichen) Versuch sträuben ihre Sprache von Außen zu verändern.
Auch Sie kennen Leute, die sich gegen den Genderstern wehren. Was sagen Sie ihnen?
Ich verstehe dein Unwohlsein. Hier wird an der Sprache gerührt, die du bisher als selbstverständlich wahrgenommen hast. Aber verstehst du auch, dass auf der anderen Seite dasselbe Unwohlsein herrscht gegenüber der Sprache, die für dich so selbstverständlich ist? Die Verknüpfung von Sprache und Identität ist bei allen gegeben: bei Menschen, deren Identität das Gendersternchen infrage stellt, und bei jenen, deren Identität es erst sichtbar macht. Dieses Bewusstsein, dass man nonbinäre Menschen sprachlich sichtbar machen kann, ist erreicht. Dahinter zurückfallen: Ich glaube, das geht nicht. Der Aufwand für diese Personen, ständig ihre Identität und die Wirklichkeit, in der diese Identität ignoriert wird, in Einklang zu bringen, wäre sehr viel grösser als für mich, zu sagen: Ich bin doch als Mann nach wie vor gemeint, auch wenn jetzt ein Gendersternchen in dem Wort steht. Ich muss doch gar keine Angst haben, ich war vorher gemeint und bin es auch weiterhin. Und an dieses Sternchen muss ich mich halt gewöhnen.
Ich hoffe, du hast recht.
In meinem Team arbeitet eine studentische Hilfskraft, welche wirklich stark Wert legt auf's Gendern und den Genderstern "übertrieben" betont. Sie ist auch Mitte 20 und demnach hoffentlich eine Ausnahme
Welche Textsorte, die du dir regelmäßig länger zu Gemüte führst, benutzt denn bitte das Gendersternchen? Oder tangieren dich bereits 100-Wort-Nachrichtenartikel?
Sehe ich persönlich nicht so als Problem an. Im beruflichen und akademischen Kontext wird der Zirkus halt mitgemacht im Sinne der politisch geforderten performativen Inklusion. Die Ämter freut's und man hat seine Ruhe. Auf der Ebene bleibt's aber.
Naja, ist halt ein Oktroy durch die Politik. Der Geldgeber sagt uns, wie wir unsere Antrags- und Berichtsprosa zu verfassen haben, um keine potentiellen Befindlichkeiten zu stören, und wir handeln entsprechend. Ich kenne in meinem Institut eine Person, von der ich weiß, dass sie es gut findet (bringt auch solch drollige Anreden wie "Liebe Menschen, …") aber sonst? Also ja, es ist für mich und fast alle meine Kollegen Performance und nichts weiter.
Irgendwie goldig, wie sich viele einen Kopf um dieses doch absolut wohlstandsverwahrloste Wichtigtuer-Thema machen.
Fakt ist: Kein Mensch, der bei Verstand ist, wird jemals gendern 🤷
Herablassend, beleidigend und provozierend - können wir diese Diskussionskultur bitte bei Reddit lassen?
Fakt ist: Das ist nur deine Meinung. Alle Menschen, die ich kenne und die im normalen Sprachgebrauch gendern, sind ziemlich gut bei Verstand. Über die genaue Umsetzung sollte durchaus diskutiert werden, aber sich der Thematik komplett zu verschließen, ist im schlechten Sinne des Wortes einfach konservativ.
Für mich genau andersherum. Vor 20 Jahren in der Schule bereits, bevor es ein großes Thema war, wurde bei uns im Deutschunterricht behandelt dass viele Berufe nur für Männer gelten. Es gibt sogar seit mindestens 25 Jahren das "Rätsel", in dem der Arzt eine Frau ist. Sogar als Merkel Kanzlerin wurde wurde das Thema diskutiert.
Für mich ist die Verweigerung dieser Selbstverständlichkeit eine Wohlstandsdebatte. Es war noch nie richtig NICHT Arzt und Ärztin zu sagen. AfD und Boomer haben es zum Thema gemacht, weil sie es geil finden dagegen zu sein.
Ich bin Sozialarbeiter. Der generische Begriff ist männlich. Nämlich Sozialarbeiter. Hat irgendwie noch keine Frau davon abgehalten in den Beruf zu gehen.
Ich halte diese Diskussion für eine Scheindebatte um die wahren Probleme nicht angehen zu müssen.
Nebenbei das Rätsel suckt, weil es die beteiligten Personen alle als männlich framed (Vater und Sohn) und damit das Gehirn in eine bestimmte Richtung lenkt. Wären es Vater und Tochter, würde das Rätsel nicht funktionieren und jeder würde darauf kommen, dass der Arzt eine Frau ist.
Die richtige Antwort natürlich ohnehin, dass der Sohn zwei Väter hat. ;P