Lehnst du auch alle anderen Formen der Gesellschaft Individuen über das Instrument Staat in die Pflicht zu nehmen über die Abkürzung "aber das lässt eine autoritäre Position vermuten" ab?
Nein. Ich lehne gesellschaftliche Verantwortung und diesbezügliche staatliche Interventionen nicht im Allgemeinen ab.
WIR sind der Staat und in einer Gesellschaft zu leben bedeutet halt manchmal dass das Individuum zurückstecken muss.
Wir sind nicht der Staat. Wir haben über die parlamentarische Demokratie einen Hebel, der es uns ermöglicht zum Teil mitzuentscheiden, aber der Staat selbst ist eine andere Entität, die in Wechselwirkung und verwoben mit der Gesellschaft existiert. Es gibt dennoch massive Probleme in diesem System, also Demokratiedefizite, Korruption und Lobbyismus.
Wir haben diverse Grundrechte, die das Individuum vor der staatlichen Übermacht schützen, die den Handlungsspielraum von Regierungen einschränken. Dieses Verhältnis von Individuum und Staat wird gerade neu ausgelotet und das lehne ich ab. Ich sehe den verpflichtenden Wehrdienst als archaisches Überbleibsel von vergangenen, autoritären Zeiten an.
Das hat prinzipiell erstmal nichts damit zu tun, dass ich gesellschaftliche Verantwortung vermeintlich ablehne. Ich finde wir sollten gesellschaftliches Engagement massiv fördern mit Förderprogrammen, Vergütung, Anerkennung, dem Werben um mehr Engagement und medialer Aufmerksamkeit. Aber eben nicht forcieren.
Die selbe Argumentationslinie kannst du direkt auch auf steuern anwenden...
Nein, denn das Konzept von Privateigentum ist etwas, das der Staat erst einmal schafft und schützt, siehe Artikel 14 GG. Eingriffe in das Privateigentum, die dem Gemeinwohl nützen und notwendig sind, um die Einhaltung von Menschenrechten zu gewährleisten, sehe ich als absolut legitim und oft als notwendig an. Es wird dabei aber kein Zwang angewandt, um eine Person in den Dienst des Staates zu stellen. Ferner sehe ich Eigentum hierarchisch gesehen als niedrigeren Wert an als das Recht auf Leben, Freiheitzügigkeit, Selbstbestimmung und Sicherheit.
Das was ich ablehne ist das Konzept vom "Dienst am Land", also der Zwang einen Lebensabschnitt im Dienst des Staates aufzuopfern und gegebenenfalls auch dabei das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Das ist ein massiver Eingriff in die fundamentalen Freiheitsrechte, die dir genommen werden, um dich dem Staat unterzuordnen. Und ich bin der Meinung, dass kein Staat das darf. Genauso wenig, wie ein Staat die Todesstrafe verhängen darf in meinen Augen. Diese Autorität hat der Staat schlichtweg nicht.
Das kannst du gerne anders sehen aber so sind nunmal meine ethischen Überzeugungen. Das ist an der Stelle auch kein tiefergehendes Argument, weil das wirklich unmittelbar aus meinen tiefsten Überzeugungen bzgl. Freiheit und Staat hervorgeht.
Wenn es dazu kommt, dass irgendwas ein bisschen mehr schief läuft, dann kommt das sowieso, ich finde es ist sehr gut dem Vorzugreifen und die Pflicht breiter aufzustellen sowie sie ausdrücklich auf bis über 60 auszudehnen sowie bereits geleistete Dinge anrechnen zu lassen.
Warum macht man das Ganze nicht auf freiwilliger Basis? Ist doch noch gar nicht sicher, dass das nicht reichen würde. Wenn unsere gesellschaftliche Ordnung am Ende tatsächlich so scheiße ist, dass nicht genügend Leute bereit sind diese zu verteidigen, dann sollten wir uns vielleicht darüber mal Gedanken machen, anstelle Zwang anzuwenden.
Gerechter wenn sowas egalitär geregelt ist. Sonst kommt es zu amerikanischen Zuständen bei denen die Armee freiwillig ist aber defacto die einzigen Menschen die man dazu motivieren kann Menschen sind die unter Sachzwängen leiden. Das will doch wirklich niemand.
Ich habe in meinem ursprünglichen Beitrag lediglich den Zwang kritisiert. Dass das Programm altersgerechter, egalitärer usw. ist als die aktuelle Wehrpflicht (wenn sie reaktiviert würde) bestreite ich nicht.
Das mit den amerikanischen Verhältnissen ist halt aber auch wieder unmenschliche Politik und nicht unausweichlich. Ich denke ich muss nicht erklären, dass die USA durchaus einfach mal weniger Weltpolizei hätten spielen können mit Vietnam, Irak usw., dann bräuchten sie auch weniger Militarismus und Kanonenfutter. Die USA sind darüber hinaus auch ein super Beispiel, dass Staat nicht gleich Gesellschaft ist, dass der Staat auch oft nicht im Interesse der Gesellschaft handelt sondern hegemoniale Machtansprüche und Kapitalinteressen weltweit durchsetzt - und dafür sterben dann eben Menschen. Alleine die massiven Proteste, was den Vietnamkrieg angeht, reichen da glaube ich aus um diese Diskrepanz hervorzuheben.
Und wie gesagt: wenn die Gesellschaft es nicht einsieht, mitzumachen, dann ist Zwang mMn immer noch falsch. Weil dann gibt es nen krassen Disconnect zwischen dem Staat/der Verteidigungspolitik und den Bürger*innen. Wenn wir uns in Europa gegen einen Angriffskrieg verteidigen müssten, so bin ich überzeugt, würde sich die breite Mehrheit hier die Frage stellen, was man bereit ist zu leisten, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Auch aktuell gibt es - rein anekdotisch - in meinem Freundeskreis viele, die sich ein gesellschaftliches Engagement ähnlich zum "Freiheitsdienst" gut vorstellen können. Und ich finde damit können und sollten wir arbeiten, als wieder einen Pflichtdienst einzuführen.