Trotz 30.000 Toten in Gaza fehlt der deutschen Politik Empathie, beklagt Jules El-Khatib. Der Soziologe und Ex-Linken-Sprecher in NRW schaut kritisch auf Regierung und Medien.
Trotz 30.000 Toten in Gaza fehlt der deutschen Politik Empathie, beklagt Jules El-Khatib. Der Soziologe und Ex-Linken-Sprecher in NRW schaut im Gespräch mit IPPEN.MEDIA kritisch auf Regierung und Medien.
Jules El-Khatib zum Gaza-Krieg: Deutschlands Berichterstattung „extrem unausgewogen“
Wer keine Fremdsprache kann, ist quasi schon verloren. Keine Chance, dass man sich da irgendwie ausgewogen informiert.
Vor ein paar Tagen war bei Reuters (und auch aufgegriffen von US-Medien) eine Meldung zu einem UNRWA-Bericht, in dem Israel vorgeworfen wird, dass sie UNRWA-Mitarbeitern falsche Geständnisse abpressen durch Folter.
The document said several UNRWA Palestinian staffers had been detained by the Israeli army, and added that the ill-treatment and abuse they said they had experienced included severe physical beatings, waterboarding, and threats of harm to family members.
"Agency staff members have been subject to threats and coercion by the Israeli authorities while in detention, and pressured to make false statements against the Agency, including that the Agency has affiliations with Hamas and that UNRWA staff members took part in the 7 October 2023 atrocities,” the report says.
Ich finde keinen Artikel auf Deutsch mit dem gleichen Vorwurf. Man findet nur etwas ältere knappe Meldungen, wo dann zwar was steht von Folter, aber nichts von falschen Geständnissen.
Als Israel ohne Beweise 12 UNRWA-Mitarbeitern Beteiligung am 7. Oktober vorgeworfen hat, wurde darüber tagelang auf der Frontpage berichtet, und die BuReg hat sofort die Hilfsgelder eingefroren.
Jede israelische Gräuelpropaganda wird rauf- und runtergespielt. Selbst wenn es bereits massive Zweifel gibt, wird trotzdem oft einfach so getan, als wären es Tatsachen. Aber wenn es Vorwürfe gegen Israel oder Zweifel an der israelischen Darstellung gibt, kann man schon froh sein, wenn man überhaupt was findet in deutscher Sprache.
Vor ein paar Tagen war bei Reuters (und auch aufgegriffen von US-Medien) eine Meldung zu einem UNRWA-Bericht, in dem Israel vorgeworfen wird, dass sie UNRWA-Mitarbeitern falsche Geständnisse abpressen durch Folter.
Finde ich ein hervorragendes Beispiel, weil es zeigt, wie schwierig es ist, überhaupt an verlässliche Informationen zu kommen.
Erstens: Quelle ist UNRWA, die ja selbst in der Kritik stehen, weil sie parteiisch seien, und die sich selbst wiederum "nur" auf Berichte von Gefangenen berufen (bei denen logischerweise auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie neutral sind).
Jetzt will ich den UNRWA-Leuten nicht per se Antisemitismus o.ä. unterstellen - wenn ich ständig das Elend in Gaza miterleben müsste, würde mich das natürlich verändern. Und selbst wenn man parteiisch ist, heisst es ja nicht, dass man lügt. Ähnliches gilt für die Gefangenen als Quelle: natürlich kann das die Wahrheit sein (ich halte es auch für wahrscheinlich), aber es gibt eben keine halbwegs neutrale Quelle (auch wiederum logisch, in solchen Gefängnissen). Aber es ist eben keine verlässliche Information.
Zweitens: Im verlinkten Artikel ist nicht von Folter die Rede, sondern von "coercion". Das kann nach meinem Verständnis auch z.B. Versprechungen zu einem Strafnachlass umfassen. Da frage ich mich immer, warum man das macht (zumal es ja in beiden Fällen illegal sein kann - je nach Rechtssystem). Alles, was ich in diesem Augenblick sicher weiß, ist dass sich die Person entweder nicht gut mit der Materie auskennt (wenn ich als jemand ohne Ahnung das schon widerlegen kann) oder dass sie vorsätzlich die Unwahrheit sagt. Das senkt meine Motivation natürlich gewaltig, mich dmait weiter auseinander zu setzen, weil ich nicht die Zeit/Energie/Lust habe, mich durch das gesammelte Halbwissen des Internets zu wühlen.
Wiederum gilt, dass die Person ansonsten richtige Sachen sagen kann. Sie sind aber nicht verlässlich (ohne aufwendige Eigenrecherche, was uns aber u.a. wieder zu erstens führt).
Als Fazit bleibt für mich zum einen die Frage, worüber sollte berichtet werden? Das sind schwerwiegende und nicht unrealistische Vorwürfe, was für das Berichten spricht. Allerdings gibt es eben auch den Effekt, dass irgendwas schon hängen bleibt, wenn man Vorwürfe nur oft genug wiederholt.
Zum anderen finde ich es wichtig, z.B. Forderungen nach einem Komitee wie dem CPT aufzustellen - auch wenn das in der aktuellen, stark emotionalisierten Situation schwer umzusetzen sein wird und langfristiges Handlen schwer auszuhalten ist, wenn aktuell Menschen vermutlich gefoltert werden. Aber ich sehe keine realistisch umzusetzende Alternative, und hier könnte man die Regierung am ehesten in Erklärungsnöte bringen und Verbündete in der liberaleren israelischen Bevölkerung finden (vermute ich).
Außerdem denke ich manchmal, ob man einzelne Berichte so sehr in den Vordergrund rücken sollte. Die israelische Regierung hatte ja ursprünglich selbst gesagt, dass die Auswahl ihrer Ziele auf den Aussagen von Hamas-Gefangenen beruht. Was denken die Leute denn, wie die an die Aussagen gekommen sind? Freundlich fragen? Das finde ich persönlich einen viel überzeugenderen Beleg für Folterungen als "Artikel über einen unveröffentlichen Bericht über Aussagen von Gefangenen". Und das sollte bereits Grund genug sein, um der israelischen Regierung eine rote Linie aufzuzeigen.
Ist aber für die Politik natürlich schwer zu vertreten, wenn man selbst Folterlager betreibt oder dafür sorgt, dass Menschen dort gefangen bleiben.
Ich halte mich bei diesem Thema fern von Deutschen communities und Medien. Ich finde es zu krass wie extrem die Israelische Propaganda in Deutschland wegen der German guilt greift.
"Jede Überschrift, die mit einem Fragezeichen endet, kann mit einem Nein beantwortet werden."
Kurze Erinnerung an dieser Stelle, dass El-Khatib seit je her sich als Mitglied von "marx21" für die Hufeisen-Medaille bewirbt und schon mehrfach Gold in der Kategorie "linker Antisemitismus" gewonnen hat.
Überschrift und Text passen nicht zusammen: "ignoriert Menschenrechte" ist etwas anderes als "zeigt keine Empathie".
"In medialen Debatten sind palästinensische Stimmen ja wirklich rar." Landauf und Landab gibt es kaum ein anderes Thema. Selbst bei der Oscar-Verleihung.
"Wenn Palästinenserinnen und Palästinenser zu Wort kommen, dann gibt es auch zugleich Angriffe auf sie." Ist umgekehrt nicht anders.
"Aber es ist extrem unausgewogen, wenn man sich die Titelseiten der großen Medien anschaut, insbesondere auch die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks." => DasGegenteilistderFall. Du wirst sicher genug mediale Stimmen finden, die das Gegenteil behaupten. Und weißt du was? Das beweist nur, wie ausgewogen und diskursfreudig und ganz und gar nicht einseitig die mediale Perspektive ist. Hupsi.
Am Ende ist das ganze Interview nichts anderes, als die Sprechblase eines ausgewiesenen Antisemiten. Aussagen wie "Schockierend fand ich auch Artikel, die selbst einen Einmarsch in Rafah gutgeheißen haben – und das, als mehr als 30.000 Palästinenser schon tot waren." ist nichts anderes als reinste Meinung, kein Fakt. Jeder einzelne tote Palästinenser hätte verhindert werden können, wenn es keinen 7. Oktober gegeben hätte. Jeder weitere Tote kann verhindert werden, wenn die Hamas die Waffen niederlegt und die Geiseln frei lässt. Und last but not least: nicht jeder der 30.000 Toten ist unschuldig gewesen. Darunter sind halt auch viele Hamas-Kämpfer.
Und so weiter: "Bei allen anderen Parteien gibt es niemanden, der einen dauerhaften Waffenstillstand fordert, die meisten Abgeordneten sind, wenn es um palästinensisches Leid geht, eine absolute Katastrophe". Vielleicht fordert ja niemand einen Waffenstillstand, weil auch nur die größten Vollpfosten (Wagenknecht und der Papst) z.B. die Ukraine auffordern würden, endlich einem Waffenstillstand zuzustimmen. Das Leid der Palästinenser ist allerdings den meisten ziemlich egal, denn wir haben ja immer weiter die UNRWA und die Hamas finanziert. Würde man den Terroristen endlich den Geldhahn aus dem Westen abdrehen, könnte sich vielleicht die Bevölkerung stärker gegen die Besatzung durch diese kriminellen Vereinigungen wehren.
Lachhaft wird es bei "Die Bundesregierung hätte schon vor Monaten einen Waffenstillstand fordern müssen". Ja, es wäre schön gewesen, wenn die Bundesregierung die Entwaffnung und Beseitigung der Hamas gefordert hätte. Aber El-Khatib meint natürlich, dass Israel die Waffen strecken möge.
Sein Wunsch "Wer eine langfristige Lösung möchte, der muss auch eine Perspektive für die Palästinenser schaffen, die ihnen Sicherheit und Frieden gewährleistet." wird eben so lange ungehört bleiben, so lange er nicht erkennt, dass die Hamas selber das größte Leid für die Palästinenser verursacht.